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Heidelberger Institut für Tiefenpsychologie (HIT)

Weiterbildungskreis für ärztliche Psychotherapie. Sowie Mitgliederinstitut und kollegiales Forum für psychologische und ärztliche Psychotherapeuten.

Das HIT bietet ein Curriculum sowohl für die Weiterbildung zum Facharzt/ärztin als auch zum Zusatztitel ‚Psychotherapie‘. Als Mitgliederinstitut möchte das HIT selbstständigen und angestellten Psychotherapeut*innen einen öffentlichen Raum zum kollegialen Austausch ermöglichen. Für ausgebildete Mitglieder bleiben viele Seminare und Kasuistiken zugänglich und können damit entsprechende Fortbildungspunkte erworben werden. Darüber hinaus gibt es praxisrelevante Tagungen und Veranstaltungen wie bspw. zu tagesaktuellen Themen, mögliche Lesekreise oder Arbeitsgruppen. Es scheint uns für die Ausübung der psychotherapeutischen Profession wichtig und sinnvoll, einen solchen öffentlichen Raum miteinander zu gestalten.

Die folgenden Punkte stellen den Versuch dar, ein undogmatisches Leitbild des HIT zu formulieren, das erlaubt, sich transparent im Umfeld der Psychotherapie-Institute zu positionieren. Wir hoffen, dass es zukünftige Weiterbildungs-Kandidat*innen und die Mitglieder anspricht, an unserem Institutsleben teilzunehmen.

Leitlinien

  • Psychodynamisch: Als Institut vertreten wir die ‚Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie‘. Dabei beziehen wir uns insbesondere auf die Ideengeschichte der Psychoanalyse, ihre Haltungen und Konzepte. Besonders wichtig ist uns die Entdeckung Freuds, dass hinter den psychischen Symptomen eine Person mit einer Lebensgeschichte steht – und damit ein meist unbewusster tieferer ‚Sinn‘, den es hermeneutisch zu verstehen gilt. Das Verstehen des individuellen Sinns ist zugleich Ausdruck einer wertschätzenden therapeutischen Beziehung und hilft der betroffenen Person, mit ihren zwischenmenschlichen und psychodynamischen Bedingtheiten freier im Leben umzugehen. Wesentlich ist dabei die ebenfalls von Freud initiierte psychoanalytische Grundhaltung, Psychotherapie als eine den Gegenüber möglichst freilassendeBeziehungsarbeit zu praktizieren
  • Mehrdimensional: Bei diesem Verstehensprozess, der zugleich eine wertschätzende Beziehungserfahrung darstellt, ist das psychodynamische Denken mit psychoanalytischen Konzepten zentral. Die Tiefenpsychologie, wie wir sie auffassen, vermag weitergehende Sinndimensionen des Menschen mit einzubeziehen. Dazu gehören insbesondere gesellschaftliche Ursachen psychischer Störungen (emanzipatorische Psychotherapie), existentielle Zumutungen wie Endlichkeit oder Verantwortung (Existenzanalyse), Rollen und Abhängigkeiten in Systemen (Familientherapie) sowie die Sehnsucht nach gelingenden zwischenmenschlichen Begegnungen. Kurz: der Sinn von psychischen Störungen lässt sich in Bezug auf Gesellschaft, Familiensystem, menschliche Existenz und zwischenmenschliche Beziehungen mehrdimensional verstehen.
  • Individuelle Psychodynamik: Bei der Erklärung von psychischen Störungen streben wir eine differenzierte Psychodynamik an, die uns von der Entwicklung und der inneren Situation eines konkreten Menschen erzählt. Die Tiefenpsychologie unterscheidet grundsätzlich zwischen einer Störung nach dem Modell struktureller Defizite oder dem Neurose-Konflikt-Modell. Beide Störungsmodelle sind im Leben nicht trennscharf geschieden, je früher der ungelöste Konflikt in der Pathogenese, desto wahrscheinlicher wird ein strukturelles Defizit. Ist das Strukturdefizit maßgeblich, können die betroffenen Patienten aufgrund von Entwicklungsdefiziten nicht wirklich anders mit schwierigen Situationen umgehen. Sie sind darauf angewiesen, dass in der Psychotherapie entsprechende psychische Funktionen zur Verfügung gestellt werden und die Entwicklung grundsätzlicher psychischer und zwischenmenschlicher Fähigkeiten über die therapeutische Beziehung in gewissen Grenzen nachreifen. Zu dem Störungsmodell im Sinne des neurotischen Konflikts gehört ein ungelöster Konflikt mit frühen Bezugspersonen, der im Ringen um zwischenmenschliche Beziehung und Anerkennung verinnerlicht wird. Die Verarbeitung dieses Konfliktes bringt bestimmte Beziehungsschemata und Abwehrmechanismen mit sich und führt so zu unterschiedlichen charakteristischen Neurosenstrukturen. Zum konkreten Auslöser des Symptoms wird ein historisches Ereignis vor dem Hintergrund dieser Neurosenstruktur, indem es den darin neurotisch verarbeiteten ungelösten Konflikts aktualisiert. Dabei stellt das Symptom oftmals einen unbewussten dysfunktionalen Bewältigungsversuch der betroffenen Person dar, dessen individuelle Bedeutung es zu verstehen gilt.
  • Wertschätzend: Sofern dieser dysfunktionale Bewältigungsversuch aus innerer Not und unter ungünstigen Beziehungserfahrungen der Kindheit entstanden ist, stellt er für die Betroffenen einen früher durchaus notwendigen Lösungsversuch dar. Dieser ist oftmals zu einer dysfunktionalen Abwehr habitualisiert und vermag in der Gegenwart nicht ohne Widerstand bzw. entsprechende Ängste aufgegeben zu werden. Für Psychotherapeut*innen stellt sich die Frage: Wie lassen sich im psychotherapeutischen Prozess günstige Bedingungen schaffen, die es Patient*innen erlauben, ihre Abwehr zu mildern, sich authentisch zu zeigen und problematische Gewohnheiten aufzugeben? Eine solche Aufgabe scheint vor allem eine empathisch-wertschätzende und authentische therapeutische Beziehung zu verlangen – jene Qualität einer ‚korrigierenden Beziehungserfahrung‘, der es bei Entstehung des frühen Konflikts womöglich ermangelte.
  • Soziale Lebenssituation: Bei Indikationsstellung und Therapie ist uns wichtig, auch die reale soziale Lebenssituation der Patient*innen im Auge zu behalten. Welche konkreten Herausforderungen stehen im Leben der Patient*innen an und wie sind ihre Ressourcen, haben sie eine Alltagsstruktur und soziale Beziehungen? Können sie ihre Arbeit verrichten und gut für sich sorgen? Unter Umständen kann es also sinnvoll werden, soziale Einrichtungen wie z.B. sozialpsychiatrische Dienste, allgemeine Sozialberatung, berufliche Rehabilitation oder Familienberatung einzubeziehen.
  • Personenzentriert: Die Integration verschiedener Sinndimensionen, eine differenzierte Psychodynamik, die authentisch-wertschätzende Beziehung sowie der Einbezug der sozialen Situation erinnern daran, dass wir Patient*innen nicht auf einen psychodynamischen Konflikt, eine Neurosenstruktur oder andere pathologisierende Kategorien reduzieren. Hinter allen Eigenschaften und Verhaltensweisen steht eine Person, die als Subjekt auf Sinn und Werte ausgerichtet ist und auf ihre einzigartige Weise mit all ihren körperlichen und psychischen Eigenschaften umgehen kann.
  • Dialogisch: Weil sich die psychotherapeutische Praxis letztlich an dieser, jeweils einzigartigen Person orientiert, kann sie nach einem rein zweckrationalem Diagnose-Interventions-Schema im Sinne kasuistischer Leitlinien nur bedingt funktionieren. Das aus der Medizin und empirischen Forschung stammende Diagnose-Interventions-Schema bezieht sich auf ‚Diagnosen‘ oder typische ‚Fälle‘ – über diesen Zugang hinaus aber richtet sich die Tiefenpsychologische Psychotherapie letztlich an die jeweilige Person in ihrer einzigartigen Lebenssituation. Daraus folgt auch: Wir Psychotherapeut*innen können nicht für die Patient*innen wissen, was der Sinn ihrer Störung und worin ihre Heilung liegt. Psychotherapeut*innen helfen, indem sie als Gegenüber einen Erfahrungsraum zur Verfügung stellen, in dem Patient*innen ihre Entwicklungsmöglichkeiten und Sinnfragen von sich selbst her freier zu erfahren lernen. Abstrakt formuliert: Wir verstehen die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie weniger als Setting, in dem eine Fachperson ihr Fachwissen an einem ‚Objekt‘ ausübt, sondern als Begegnungsraum zweier Subjekte.
  • Leiblichkeit und Resonanz: Mit der personenzentrierten und dialogischen Auffassung des psychotherapeutischen Handelns relativiert sich der kognitiv-technische Zugang und gewinnt die Leiblichkeit von Therapeut*in und Patient*in an Bedeutung. Die Leiblichkeit der Therapeut*innen kann wie ein Resonanzraum für lebendige Übertragungsangebote der Patient*innen fungieren. Zudem könnte die zwischenleibliche Resonanz einer empathisch abgegrenzten Beziehung eine wichtige Erfahrungsdimension der erwähnten korrigierenden Beziehungserfahrung für Patient*innen sein. Eine Kultur der leiblichen Achtsamkeit scheint uns der therapeutischen Arbeit jedenfalls dienlich.
  • Gesellschaftskritisch: Zum Gesamtzusammenhang des therapeutischen Handelns gehört auch die Gesellschaft, in deren Matrix wir uns alle bewegen. Soziologen beschreiben heute vielfach einen gesamtgesellschaftlichen Ökonomisierungs– und Technisierungsprozess, der es dem Subjekt schwer macht, sich in seiner Menschlichkeit zu entfalten. Beschleunigung und medial vermarktete Vergleichsprozesse stellen das Subjekt unter die Norm zu funktionieren bzw. sich diesbezüglich zu optimieren. Sofern dieser gesamtgesellschaftliche Prozess auch einen Grund für psychische Störungen darstellt, sollte die psychotherapeutische Praxis für Patient*innen einen Raum bewahren, der explizit frei von dieser Tendenz ist. Eine wertschätzende Beziehung weitgehend frei von gesellschaftlichen Normierungs- und Optimierungszwängen öffnet in gewissem Sinne jenen Raum, in dem sich das emanzipierte Subjekt von sich selbst her zeigen und entwickeln kann. Wichtig ist dies zu betonen, sofern auch die Psychotherapie bzw. das Gesundheitswesen als Institutionen diesem gesamtgesellschaftlichen Optimierungs- und Ökonomisierungsdruck unterliegen.
  • Menschenbild: Die kritische Haltung gegenüber gesellschaftlichen Entfremdungsprozessen verweist implizit auch auf die Frage des Menschenbildes. Als offenes Institut sollten wir uns hier nicht festlegen. Uns scheint für die therapeutische Haltung wichtig, die Psyche nicht als ‚Ding‘ oder rein selbstbezüglichen ‚Zustand‘ mit Eigenschaften aufzufassen, der durch neurobiologische Ursachen oder unbewusste Motive restlos determiniert ist. Personen sind Beziehungswesen und stehen ausgerichtet auf Werte in einem individuellen Beziehungsraum – sie können sich darin mehr oder weniger eingeschränkt zu all ihren Eigenschaften und ihrem psychischen Zustand verhalten – und sei es nur die Entscheidung, sich therpeutische Hilfe zu suchen. Deshalb ist es Psychotherapeut*innen auch möglich, Patient*innen als echte Gegenüber bzw. Subjekte in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und auf Augenhöhe anzusprechen.
  • Ganzheitlich: Die Psyche ist keine rein selbstbezügliche Innenperspektive eines determinierten organismischen Zustands, sondern gestimmtes Erleben hervorgehend aus dem biographischen Beziehungs- und Lebensvollzug, den wir als verkörperte Lebewesen leiblich vollziehen. Die subjektiv empfundene Leiblichkeit ist wie ein vorbewusster Resonanzraum für unseren sinnlich-lebendigen und zwischenmenschlichen Kontakt mit der Welt. Die darauf reflektierende Psyche gründet somit in einer vorbewussten Leiblichkeit, durch die wir tief geprägt und mit der Welt verbunden sind. Nicht zuletzt deshalb behält die Dimension des ‚Unbewussten‘ eine hohe Relevanz in der Psychotherapie und sollte sich Psychotherapie nicht auf ein kognitives Rätsel, Lernprogramm oder Coaching reduzieren. Um Patient*innen als ganze Menschen in ihrer vorbewussten ‚Zwischenleiblichkeit‘ und ihrem ganzheitlichen Entwicklungspotential anzusprechen, braucht es leibhaftige, zwischenmenschliche Beziehungserfahrungen innerhalb und letztlich natürlich auch außerhalb des therapeutischen Settings.
  • Pluralistisch – aber nicht eklektizistisch: Es gibt zahlreiche konkurrierende Theorien, Schulen und Verfahren in der Psychotherapielandschaft. Zu den Kassenverfahren gehören heute die ‚Systemische Psychotherapie‘, die ‚Verhaltenstherapie‘, die ‚Analytische Psychotherapie‘ und die ‚Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie‘. Bei genauerer Betrachtung bringen diese unterschiedlichen Ansätze verschiedene Störungskonzepte, Zielsetzungen, Kontexte, Auffassungen von Wissenschaftlichkeit und Formen therapeutischen Handelns zum Ausdruck. Wenn ein Verfahren hier nicht den Alleinerklärungsanspruch erhebt und sich stattdessen selbst im Gesamtzusammenhang zu verorten vermag, können diese Verfahren und entsprechenden Schulen bzw. Institute durchaus ergänzend zueinander fungieren.

Die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist hervorgegangen aus einer praktisch orientierten Modifikation der Psychoanalyse und integrierte nach dem Psychotherapeutengesetz 1999 auch viele Vertreter humanistischer Verfahren wie der Gesprächstherapie oder Gestalttherapie. So steht heute insbesondere die ‚Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie‘ für einen pluralistischen und ganzheitlich-differenzierten Zugang zum jeweilig konkreten Menschen.